Kündigung wegen Krankheit – ab wann ist sie möglich?

Viele krankheitsbedingte Fehltage können zu einer Kündigung durch den Arbeitgeber führen. Häufig ist diese aber angreifbar. Ich erläutere Ihnen, ob und wann Sie gegen die Kündigung klagen sollten.

1. Wann ist eine Kündigung wegen Krankheit möglich?

Im Regelfall ist die krankheitsbedingte Kündigung eine personenbedingte Kündigung, deren Zulässigkeit sich in drei Stufen bemisst:

1. Stufe: Negative Prognose

Der Arbeitgeber muss eine Gesundheitsprognose erstellen. Es müssen also auch zukünftig erhebliche Ausfälle zu erwarten sein. Dafür entscheidend ist die Perspektive beim Zugang der Kündigung. Zur Beurteilung darf der Arbeitgeber zwar auch Rückschlüsse aus vergangenen Fehltagen ziehen. Wichtig ist aber die Entwicklung in der Zukunft.

Beispiel: A hat sich im Skiurlaub einen komplizierten Beinbruch zugezogen und ist deshalb monatelang ausgefallen. Sein Arzt ist sich aber sicher, dass A in drei Wochen wieder normal arbeiten kann. Der Beinbruch kann keine Schlüsse auf zukünftige Erkrankungen des A zulassen. Es besteht somit keine negative Prognose.

Gegenbeispiel: Arbeitnehmer A ist chronisch immungeschwächt und deshalb sehr anfällig für Infekte. Er fiel aufgrund dieser Erkrankung in den letzten fünf Jahren jeden Winter für mehrere Wochen aus. Hier kann der Arbeitgeber aus der Vergangenheit negative Schlüsse für die Zukunft ziehen, weil auch im nächsten Winter mit Erkrankungen des A zu rechnen ist.

Ohne die Erstellung einer Gesundheitsprognose durch den Arbeitgeber ist die Kündigung auf jeden Fall unwirksam.

2. Stufe: Kein milderes Mittel

Eine Kündigung kommt nur infrage, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht auf einem anderen Arbeitsplatz einsetzen kann. Dies ist besonders bei körperlichen Leiden relevant.

Beispiel: A hat Gleichgewichtsstörungen und kann deshalb nicht mehr im Lager seiner Firma arbeiten. Zuvor war er im Unternehmen als Kaufmann tätig und könnte deshalb auch im Büro eingesetzt werden. B hatte ohnehin eine Stelle als Bürokaufmann/Bürokauffrau ausgeschrieben.

Bei der Bewertung von milderen Mitteln ist vor allem entscheidend, ob der Arbeitgeber ein „betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM)“ durchgeführt hat. Dieses wurde vom Gesetzgeber im Jahr 2004 eingeführt und ist heute in § 167 Abs. 2 SGB IX verankert. Es gilt für alle Arbeitnehmer und dient der Gesundheitsprävention und vor allem der Beschäftigungssicherung.

Ein bEM ist zwar keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung, spielt aber dennoch eine entscheidende Rolle. Mit Hilfe des bEM soll der Arbeitgeber Maßnahmen finden, die ein milderes Mittel gegenüber der Kündigung sind (Beispiel: Versetzung).

Hat der Arbeitgeber mit dem Arbeitnehmer ein solches Eingliederungsmanagement nicht versucht, hat eine Kündigungsschutzklage Aussicht auf Erfolg. Dann muss der Arbeitgeber nämlich nachweisen, dass das Arbeitsverhältnis auch mit einem bEM keine Chancen auf Fortsetzung gehabt hätte. Dies hat das Bundesarbeitsgericht bereits im Jahr 2009 deutlich gemacht (Az.: 2 AZR 400/08).

Zeigt der Arbeitnehmer hingegen selbst keine Bereitschaft zur Teilnahme an Wiedereingliederungsmaßnahmen, ist eine Kündigung auch ohne Durchführung eines bEM möglich.

Beispiel: Kündigung eines alkoholkranken Arbeitnehmers, der keine Bereitschaft zu einer Therapie zeigt (BAG, Urt. v. 20.3.2014 – AZ 2 AZR 565/12).

Arbeitnehmer sollten daher stets Bereitschaft zur Wiedereingliederung zeigen, um bessere Chancen im Kündigungsschutzprozess zu haben. Ein bEM ist aber nur erforderlich, wenn der Arbeitnehmer im Kalenderjahr mehr als sechs Wochen krankheitsbedingt gefehlt hat.

3. Stufe: Interessenabwägung

Schließlich müssen die Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegeneinander abgewogen werden. Die Kündigung ist nur zulässig, wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nicht mehr zugemutet werden kann. Bei dieser Interessenabwägung spielen viele Faktoren eine Rolle. Dazu zählen:

  • Dauer der Betriebszugehörigkeit
  • Alter
  • Anwesenheitsquote vor der Erkrankung
  • Unterhaltspflichten
  • Chancen auf dem Arbeitsmarkt
  • Kompensationsmöglichkeiten des Arbeitgebers

Dem steht vor allem das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers gegenüber. Er muss Arbeitnehmern insbesondere bei häufigen Kurzerkrankungen ihr Gehalt trotz Krankheit fortzahlen (§ 3 EntgFG). Außerdem benötigen Arbeitgeber Planungssicherheit. Davon kann keine Rede sein, wenn das Ob und Wann der Rückkehr an den Arbeitsplatz fraglich ist.

2. Wie viele Krankheitstage dürfen Arbeitnehmer sich erlauben?

Eine pauschale Grenze für Fehlzeiten gibt es nicht. Die Bewertung erfolgt immer einzelfallabhängig.

Fehlzeiten in der Vergangenheit sind nur ein Indiz für künftige Ausfälle. Wird der Grund für die krankheitsbedingten Ausfälle in naher Zukunft verschwinden, können die Fehlzeiten in der Vergangenheit noch so lang sein – die Kündigung wegen Krankheit ist nicht zulässig.

Umgekehrt ist eine Kündigung auch bei nur wenigen Krankheitstagen möglich, wenn der Arbeitnehmer mit Sicherheit auf Dauer ausfallen wird.

Zur Orientierung: Nach Angabe des Statistischen Bundesamtes waren Arbeitnehmer im Jahr 2019 im Schnitt 10,9 Tage krankgemeldet. Die Fehlzeiten müssen also meist deutlich über diesem Wert liegen, um ein Indiz für ausreichende künftige Fehlzeiten zu sein.

Relevant sind insbesondere die letzten drei Jahre vor der Kündigung. Diese müssen in Relation zu der gesamten Beschäftigungsdauer gesehen werden.

Im Sinne sehr grober Faustregeln lässt sich Folgendes sagen:

  • Eine zusammenhängende Fehlzeit über sechs Wochen stellt ein gewichtiges Indiz für künftige Ausfälle dar.
  • Ähnliches gilt, wenn der Arbeitnehmer in einem Jahr immer wieder kurzzeitig und insgesamt sechs Wochen ausfiel.
  • Zudem kann von einer negativen Prognose ausgegangen werden, wenn in jedem der letzten drei bis fünf Jahren mehrere Kurzerkrankungen aufgetreten sind.

Beispiele:

Ein Arbeitnehmer hatte im Zeitraum von 2007-2011 durchschnittlich 35 krankheitsbedingte Fehltage pro Jahr. Das Arbeitsgericht Iserlohn (Urt. v. 02.10.2012 – 2 Ca 401/12) hat zwar eine negative Prognose für die Zukunft akzeptiert. Dennoch war die Kündigung sozial ungerechtfertigt. Der Arbeitnehmer war 54 Jahre alt und unterhaltspflichtig für zwei Kinder. In den Jahren 1984-2006 war er nicht negativ in Erscheinung getreten. Die zahlreichen Fehltage in den Jahren 2007-2011 konnten deshalb eine krankheitsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen.

Das LAG Rheinland-Pfalz (Urt. V. 10.02.2014 – 3 SA 372/13) stellte hingegen fest, dass auch deutlich weniger Fehltage ausreichen können. § 3 EntgFG geht zwar von sechs Wochen Entgeltfortzahlung aus. Nach Ansicht des Gerichts können aber sogar 12 Fehltage jährlich ausreichen, wenn die weiteren Umstände für eine Kündigung sprechen.

Das Gericht betrachtet jeden Fall individuell. Eine einheitliche Rechtsprechung zu maximalen Krankheitstagen gibt es nicht.

3. Was gilt im Kleinbetrieb und während der Probezeit?

In den ersten sechs Monaten kann der Arbeitgeber in der Regel ohne Grund kündigen. Das Kündigungsschutzgesetz ist erst nach dieser sog. Wartezeit anwendbar.

Übrigens: Auch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall steht Arbeitnehmern nicht sofort zur Verfügung. Hier ist eine vierwöchige Beschäftigung ohne Unterbrechung im Unternehmen erforderlich.

Auch im Kleinbetrieb mit höchstens zehn Mitarbeitern gilt das Kündigungsschutzgesetz nicht. Der Arbeitgeber kann dann wegen Krankheit kündigen, ohne die oben genannten Voraussetzungen erfüllen zu müssen.

Die Kündigung darf in beiden Fällen aber nicht sittenwidrig sein. Willkürliche und diskriminierende Kündigungen sind auch hier unwirksam.

4. Was sollten Arbeitnehmer nach einer krankheitsbedingten Kündigung tun?

Jede Kündigung wegen Krankheit sollte von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht überprüft werden, um den Arbeitsplatz zu retten oder eine Abfindung zu erstreiten.

Dabei ist Eile geboten, denn Sie müssen innerhalb von drei Wochen ab Erhalt der Kündigung Klage einreichen (§ 4 KschG). Ansonsten wird auch eine eigentlich unwirksame Kündigung wirksam.

Der Arbeitgeber trägt die Beweislast für die Kündigungsvoraussetzungen. Er muss Ihre Fehlzeiten nachweisen. Außerdem muss er umfangreich und schlüssig darlegen, warum auch in Zukunft Fehlzeiten zu erwarten sind. Er muss auch glaubhaft darlegen, weshalb sein Interesse an der Kündigung Ihre Interessen am Erhalt Ihres Arbeitsplatzes überwiegt. Das gelingt ihm oft nur schwer.

5. Fazit

  • Eine Kündigung wegen Krankheit ist möglich.
  • Wichtigste Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer in Zukunft häufig oder lange krank sein wird. Fehlzeiten in der Vergangenheit können auf solche künftigen Ausfälle schließen lassen. Einen Richtwert für tolerierbare Fehltage gibt es allerdings nicht.
  • Der Arbeitgeber sollte insbesondere ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchführen. Tut er dies nicht, ist die Kündigung meist unwirksam.
  • In Betrieben mit zehn oder weniger Mitarbeitern sowie in den ersten sechs Monaten einer Beschäftigung kann der Arbeitgeber deutlich leichter kündigen.
  • Sie müssen innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung Klage erheben. Ansonsten wird die Kündigung wirksam.

6. Häufige Fragen

Darf der Arbeitgeber wegen Krankheit kündigen?
Darf der Arbeitgeber denn auch während einer Krankschreibung kündigen?
Wer bezahlt Arbeitnehmer während ihrer Krankheit?