Anspruch auf ALG I bei Aufhebungsvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD)

Ob und in welchem Umfang Sie nach einem Aufhebungsvertrag Anspruch auf Arbeitslosengeld (ALG I) haben, erkläre ich Ihnen ausführlich in diesem Beitrag.

1. Warum ein Aufhebungsvertrag Sinn machen kann

Ein Aufhebungsvertrag (im öffentlichen Dienst häufig auch Auflösungsvertrag genannt) soll das Arbeitsverhältnis einvernehmlich beenden. Er ist daher eine Alternative zur Kündigung und kann sowohl für den Arbeitnehmer als auch für den Arbeitgeber einige Vorteile gegenüber der Kündigung haben. Die Initiative zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages kann aus diesem Grund von beiden Seiten ausgehen. Auch im öffentlichen Dienst spielen Aufhebungsverträge eine wichtige Rolle.

Für den Arbeitgeber ergeben sich zum Beispiel diese Vorteile:

  • An eine Kündigung werden zum Schutze der Beschäftigten hohe Anforderungen gestellt. Der Arbeitgeber braucht einen Kündigungsgrund und muss mitunter eine Sozialauswahl treffen. Eine Kündigung nach dem Belieben des Arbeitgebers ist daher in den meisten Fällen nicht möglich.
    Ein Aufhebungsvertrag kann hingegen jederzeit abgeschlossen werden. Der Arbeitnehmer geht hier freiwillig auf das Angebot des Arbeitgebers ein, sodass anders als bei einer Kündigung ein gesetzlicher Schutz nicht nötig ist.
  • Auch kann eine Kündigung aufgrund der komplexen rechtlichen Materie oftmals vor Gericht erfolgreich angegriffen werden. Durch diesen Prozess entstehen oft hohe Kosten. Mit einem Aufhebungsvertrag befindet sich der Arbeitgeber hingegen auf der sicheren Seite.
  • Ein Aufhebungsvertrag schafft zudem von Anfang an Klarheit. Bei einer Kündigung weiß der Arbeitgeber hingegen bis zum Ablauf der dreiwöchigen Klagefrist nicht, ob die Entlassung wirksam ist. Erhebt der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage, besteht diese Ungewissheit sogar für die gesamte Dauer des Prozesses fort.
  • Beschäftigte im öffentlichen Dienst sind bei langer Dienstzugehörigkeit häufig vor einer ordentlichen Kündigung geschützt (vgl. § 34 TVöD/TV-L). Ein Aufhebungsvertrag ist daher oft die einzige Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis zu beenden.

Aber auch für den Arbeitnehmer kann ein Aufhebungsvertrag vorteilhaft sein:

  • Im Rahmen des Aufhebungsvertrages wird oftmals eine Abfindung vereinbart, um dem Arbeitnehmer den Abschluss des Vertrages „schmackhaft“ zu machen. Die Höhe der Abfindung ist maßgeblich vom Verhandlungsgeschick des Arbeitnehmers oder seines Anwalts abhängig. Im öffentlichen Dienst kann das besonders wichtig sein, da Abfindungen hier wegen des Wirtschaftlichkeits- und Sparsamkeitsgebots in der Regel geringer ausfallen.
  • Auch müssen im Falle eines Aufhebungsvertrags keine starren Kündigungsfristen beachtet werden. Ende des alten und Beginn des neuen Arbeitsverhältnisses können daher zu Gunsten des Arbeitnehmers aufeinander abgestimmt werden.
  • Im Rahmen eines Aufhebungsvertrags kann oft auch ein wohlwollendes Arbeitszeugnis ausgehandelt werden.

Achtung: Für Beschäftigte im öffentlichen Dienst kann ein Aufhebungsvertrag nachteilig sein, wenn eine betriebliche Alters- oder Zusatzversorgung besteht und die damit einhergehende Mindestbeschäftigungsdauer noch nicht erreicht wurde.

Der Arbeitgeber muss in diesem Fall aber auf die drohenden Nachteile hinweisen, ansonsten macht er sich unter Umständen schadensersatzpflichtig (BAG, Urt. v. 17.10.2000 – 3 AZR 605/99).

2. Habe ich Anspruch auf Arbeitslosengeld bei einem Aufhebungsvertrag?

Nach Verlust seines Arbeitsplatzes kann ein Arbeitnehmer grundsätzlich Arbeitslosengeld I beziehen, wenn er lange genug eingezahlt hat.

In einigen Fällen verhängt die Bundesagentur für Arbeit allerdings eine sogenannte Sperrzeit. In dieser Zeit kann der entlassene Arbeitnehmer kein Arbeitslosengeld I beziehen. Davon ist unter den folgenden Voraussetzungen auszugehen:

  • Der Arbeitnehmer führt seine Arbeitslosigkeit versicherungswidrig selbst herbei.
  • Er hat hierfür keinen wichtigen und nachweisbaren Grund.

Klassischer Fall ist die Kündigung. Wird diese nicht durch den Arbeitgeber, sondern durch den Arbeitnehmer selbst ausgesprochen, so hat dieser seine Bedürftigkeit selbst mutwillig herbeigeführt. Es wird daher in der Regel eine Sperrzeit verhängt.

Die Bundesagentur für Arbeit behandelt den Abschluss eines Auflösungsvertrages grundsätzlich wie eine Kündigung seitens des Arbeitnehmers. Auch in diesem Fall verhält sich der Arbeitnehmer versicherungswidrig und hat seine Arbeitslosigkeit selbst herbeigeführt. Schließlich stimmt er freiwillig dem Aufhebungsvertrag zu. Folglich droht grundsätzlich auch eine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld.

Beispiel: Arbeitgeber B möchte sein Unternehmen verkleinern. Um betriebsbedingte Entlassungen zu vermeiden, soll Arbeitnehmerin A, die zwei Kinder hat und seit langem für B arbeitet, einen Auflösungsvertrag unterzeichnen und dafür eine Abfindung erhalten.

Unterzeichnet A den Vertrag, so führt sie ihre Arbeitslosigkeit selbst herbei. Hätte der B betriebsbedingte Kündigungen aussprechen müssen, wäre im Rahmen der Sozialauswahl wahrscheinlich nicht die A, sondern ein neu eingestellter Mitarbeiter ohne Unterhaltspflichten entlassen worden.

3. Wird immer eine Sperrzeit nach einem Aufhebungsvertrag verhängt?

Nein. Eine Sperrzeit kann vermieden werden, wenn trotz Auflösungsvertrags die maßgeblichen Kündigungsfristen eingehalten werden. Im öffentlichen Dienst richten sich diese nach dem gültigen Tarifvertrag (z.B. § 34 TVöD/TV-L im Tarifgebiet West).

Häufig haben die Vertragsparteien aber kein Interesse daran, eine mehrmonatige Kündigungsfrist abzuwarten. Der Arbeitnehmer hat in diesen Fällen trotz des Aufhebungsvertrags einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, wenn er einen wichtigen und nachweisbaren Grund für den Abschluss des Aufhebungsvertrags hatte.

Aber was ist ein wichtiger und nachweisbarer Grund?

Das Gesetz trifft dazu keine näheren Bestimmungen. Betrachtet wird hier stets der Einzelfall. Über die Jahre haben die Sozialgerichte und die Agentur für Arbeit jedoch einige Leitlinien aufgestellt. Zumeist wird ein wichtiger Grund anerkannt, wenn die Auflösung des Arbeitsvertrages als verständlich und sinnvoll erscheint.

Ein wichtiger Grund liegt insbesondere in folgenden Fällen vor:

  • Die vom Arbeitnehmer verlangte Arbeit verstößt gegen Gesetz, Tarif oder die guten Sitten.
  • Der Arbeitslohn liegt 20 Prozent unter Tarif oder der ortsüblichen Bezahlung.
  • Der Arbeitgeber ist insolvent.
  • Der Arbeitnehmer wird gemobbt oder sexuell belästigt.
  • Die Beschäftigung wird zur Begründung oder Aufrechterhaltung der Ehe oder einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft aufgegeben, z.B. wechselt der Ehegatte den Wohnort und der Arbeitnehmer will mit ihm umziehen.

Ein wichtiger Grund kann auch dann vorliegen, wenn eine Kündigung durch den Arbeitgeber droht und der Aufhebungsvertrag dieser Kündigung zuvorkommen soll. Dann müssen jedoch folgende Anforderungen erfüllt werden:

  • Die Kündigung wurde dem Arbeitnehmer ernstlich in Aussicht gestellt.
  • Die Kündigung soll nicht aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers erfolgen. Die Kündigung muss daher aus personen- oder betriebsbedingten Gründen angedroht werden.
  • Das Arbeitsverhältnis endet durch den Aufhebungsvertrag nicht früher. Kündigungsfristen dürfen also nicht umgangen werden.
  • Der Arbeitnehmer war nicht ordentlich unkündbar.
  • Der Arbeitnehmer erhält eine Abfindung von bis zu 0,5 Monatsgehältern pro Jahr der Beschäftigung ODER er vermeidet durch den Aufhebungsvertrag objektive Nachteile. Beispiele für letzteres sind Nachteile beim beruflichen Fortkommen oder der Entfall einer Abfindung, die im Falle der in Aussicht gestellten Kündigung nicht gezahlt würde.

Wird der Aufhebungsvertrag zur Abwendung von drohenden Nachteilen geschlossen, prüft die Bundesagentur für Arbeit, ob die Kündigung seitens des Arbeitgebers rechtmäßig gewesen wäre. Erhält der Arbeitnehmer hingegen eine Abfindung in der genannten Höhe, wird die Rechtmäßigkeit unterstellt.

Achtung: Die Rechtmäßigkeit einer Kündigung zu beurteilen, ist für juristische Laien meist unmöglich. Dies gilt umso mehr, da der Arbeitnehmer der Agentur für Arbeit diese Rechtmäßigkeit glaubhaft darlegen muss, um eine Sperrzeit abzuwenden. Der Arbeitnehmer sollte sich daher vor Abschluss eines Aufhebungsvertrags von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten lassen.

Zur Abwendung der Sperrzeit folgender Beispielfall (Az. B 11 AL 6/11 R), der vor dem Bundessozialgericht verhandelt wurde:

Arbeitnehmerin A war von 1966 bis 2005 als Sekretärin bei ihrem Arbeitgeber B angestellt. B plante im Zuge einer Umstrukturierung seines Unternehmens, der A betriebsbedingt zu kündigen. Zur Vermeidung dieser Kündigung schlossen A und B einen Aufhebungsvertrag. A erhielt eine Abfindung in Höhe von 47.000 Euro.

Die Agentur für Arbeit verhängte gegen A eine Sperrzeit von zwölf Wochen, da die A ihre Arbeitslosigkeit selbst herbeigeführt habe.

Hiergegen klagte A. Zu Recht?

Das Bundessozialgericht entschied, dass die Sperrzeit nicht rechtmäßig sei. Hätte A nicht den Aufhebungsvertrag geschlossen, so wäre sie betriebsbedingt gekündigt worden. Im Rahmen des Aufhebungsvertrags habe die A sogar noch eine großzügige Abfindung vereinbaren können, welche sie bei einer Kündigung nicht erhalten hätte. Die A habe daher nicht willkürlich, sondern aus einem wichtigen Grund den Aufhebungsvertrag abgeschlossen. Die Agentur für Arbeit könne der A ein solches Handeln nicht zur Last legen.

Daher gilt: Eine Sperrzeit muss nicht immer sein. Der Arbeitnehmer sollte bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages aber sehr vorsichtig sein, wenn er seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld I behalten möchte. Ein Aufhebungsvertrag, der ohne vorherige rechtliche Beratung abgeschlossen wurde, wird oftmals nicht die notwendigen Voraussetzungen zur Vermeidung einer Sperrzeit erfüllen.

4. Welche Folge hat eine Sperrzeit beim ALG I?

Während der Sperrzeit erhält der Arbeitnehmer kein Arbeitslosengeld. Die Dauer der Sperrzeit liegt meist bei zwölf Wochen. Der Arbeitnehmer sollte sich daher vor Abschluss eines Aufhebungsvertrages gut überlegen, ob er diese Zeit finanziell überbrücken kann.

Darüber hinaus wird die Sperrzeit voll auf die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds angerechnet!

Beispiel: Arbeitnehmer A hat einen Aufhebungsvertrag abgeschlossen. Er hat eigentlich einen Anspruch auf 12 Monate Arbeitslosengeld. Die Agentur für Arbeit verhängt jedoch eine Sperrzeit von 12 Wochen. Wie lang erhält A nun Arbeitslosengeld?

Die 12 Wochen werden voll auf die 12 Monate angerechnet. A erhält also erst nach 12 Wochen Arbeitslosengeld und dann auch nur noch für knapp 9 Monate.

Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitslosengeld kann auch mehr als 12 Monate betragen. Dies ist meist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer bereits ein fortgeschrittenes Lebensalter erreicht hat und mehrere Jahre versicherungspflichtig beschäftigt war. In diesem Fall vermindert die Sperrzeit den Anspruch auf Arbeitslosengeld sogar um ein Viertel der gesamten Anspruchsdauer (§ 148 I Nr. 4 SGB III).

Gerade für Arbeitnehmer, die 50 oder älter sind, kann eine Sperrzeit daher teuer werden.

5. Wird die Abfindung auf das ALG I angerechnet?

Auch wenn die Arbeitsagentur keine Sperrzeit verhängt, kann sie doch die Abfindung auf das Arbeitslosengeld des Arbeitnehmers anrechnen.

Dies gilt aber nur, wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Rahmen des Aufhebungsvertrags die ordentlichen Kündigungsfristen nicht eingehalten haben. Der Arbeitnehmer soll nicht Lohn in Form der Abfindung und Arbeitslosengeld erhalten.

Beispiel: Arbeitnehmer A vereinbart mit seinem Arbeitgeber einen Aufhebungsvertrag samt Abfindung. Das Arbeitsverhältnis soll sofort aufgelöst werden. Wäre A ordentlich gekündigt worden, wäre das Arbeitsverhältnis erst nach 3 Monaten aufgelöst worden.

Die Agentur für Arbeit wird die Abfindung auf das Arbeitslosengeld des A anrechnen. Um dies zu umgehen, muss A mit seinem Arbeitgeber vereinbaren, dass das Arbeitsverhältnis nicht vor Ablauf der Kündigungsfrist aufgelöst wird.

Der Arbeitnehmer sollte daher vorsichtig sein, wenn er eine sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Arbeitgeber vereinbart. Der finanzielle Segen der Abfindung kann schnell durch ein vermindertes Arbeitslosengeld zunichte gemacht werden.

6. Fazit

  • Unterzeichnet der Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag, ordnet die Agentur für Arbeit oftmals eine Sperrzeit beim ALG I an.
  • Während dieser kann der Arbeitnehmer kein Arbeitslosengeld beziehen. Auch wird die Sperrzeit voll auf die Dauer des Arbeitslosengeldes angerechnet.
  • Eine Sperrzeit kann vermieden werden, wenn der Arbeitnehmer einen wichtigen und nachweisbaren Grund hat, um den Vertrag abzuschließen.
  • Die Abfindung kann auf das Arbeitslosengeld angerechnet werden, wenn durch den Aufhebungsvertrag Kündigungsfristen umgangen werden.